Straßenkunst direkt an der Reeperbahn - Spielbudenfestival 2024
Bereits zum 4. Mal veranstaltete das Team der Corny Littmann Stiftung für Kunst und Kultur das Spielbudenfestival auf dem Spielbudenplatz in Hamburg. In diesem Jahr war ich das erste Mal dort zu Gast – zeitweise privat, zeitweise beruflich – und durfte die besondere Atmosphäre dort erleben.
Künstler und Unternehmer Corny Littmann setzt sich mit seiner Stiftung für die Realisierung und Unterstützung von Kulturprojekten ein. Ein international besetztes Straßenkunstfestival war eines der großen Ziele, das 2020 zum ersten Mal Gestalt annahm - und in diesem Jahr ein weiteres Mal.
Auf dem Spielbudenplatz wurden dafür insgesamt sieben Spielflächen eingerichtet – teils komplett Open Air, teils überdacht, und sogar im Weingarten des Schmidt Tivoli. Dort präsentierten nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Sparten der Bühnenkunst drei Tage lang zu unterschiedlichen Zeiten ihre Shows – jeweils 20-30 Minuten, teilweise mit Publikumsinteraktion, aber allesamt gut besucht und laut bejubelt.
Hinter der Organisation steckt ein großes Team aus Mitarbeitenden der Stiftung und des Schmidt Tivoli, Eventmanagern, Gastronomen, Künstler- und ZuschauerbetreuerInnen und Securitypersonal. Wo man hinschaute entdeckte man Menschen in dunkelgrauen Spielbudenplatz-Crew und Spielbudenfestival-Team-Shirts, fleißig, immer im Einsatz, aber dabei immer freundlich und hilfsbereit.
Offensichtlich waren so viele Menschen dafür auch nötig, denn alle drei Tage waren ausgesprochen gut besucht; an den Spielorten, an denen gerade Shows liefen, bildeten sich große Menschentrauben – wie es für Straßenkunst gehört – und regelmäßig wurde der Platz von Jubel erfüllt. Und wem jubelten die Gäste zu?
Schon in der Eröffnungsshow gab es die Performance von Sara Twister zu sehen. Die in Indien geborene, weit gereiste Artistin präsentierte Akrobatik mit einem „Twist“ – denn sie ist Kontursionkünstlerin. Das Highlight ihrer Auftritte war unbestreitbar das Akrobatische Bogenschießen, für das sie nicht nur Veranstaltungsleiter Corny Littmann, sondern später sogar Freiwillige aus dem Publikum als „Zielscheiben“ für ihren Act herausforderte. Und glücklicherweise immer heil und unter großem Applaus wieder entließ.
Peter Shub lässt sich am ehesten als Pantomime bezeichnen; ein Klassiker der Straßenkunst also. Viele Worte benötigte er nicht, um mit seinem Publikum zu interagieren. „Komisches Understatement“ ist etwas, das sich der Amerikaner auf die Fahne geschrieben hat. Ob mit unsichtbarem Hund, einem verpackten Mikrofon oder auf Tuchfühlung mit seinen Zuschauenden – Lachen und Applaus gab es um seinen Auftrittsort jedes Mal.
Wenn man wiederum zu den Spielzeiten der Tänzer- und Akrobatikgruppe Surprise Effect kam, schlug einem pure Lebensfreunde und Entertainment entgegen. Die drei jungen Männer – nur ein Teil einer größeren Gruppe – wussten mit Comedy und spektakulären Breakdance-Einlagen das Publikum so zu fesseln, dass sich zwischen Jubel und Applaus auch Lachen und staunende Gesichter mischten. Auch die französischen Performer hatten keine Scheu, Zuschauerinnen und Zuschauer zum Teil ihres Auftritts und gewissermaßen zu Stars ihrer Tanzgruppe zu machen.
Mit Laura Dilettante hatte auch eine Musikerin Einzug in das Ensemble des Spielbudenfestivals gehalten. Auffällig nicht nur durch ihre feuerroten Haare, bot sie ihren ZuhörerInnen ein großes musikalisches Repertoire aus selbstgeschriebenen Liedern, Kabarettsongs und speziellen Coverversionen. Im Gepäck dabei hatte sie nicht nur ihr eigenes kleines Theater, sondern auch ihre Ukulele und ihr Akkordeon. Vielseitig, unterhaltsam – und eigentlich alles andere als dilettantisch.
Francisco Obregons Erscheinung ist erstmal unauffällig. Die seiner Puppe Sophia mit grünen Haaren und grünem Kleid eher weniger. Beide zusammen performten sie ihre eigene Version des Lieds Bésame Mucho, banden Zuschauer in ihre Tänze mit ein und interagierten spielerisch miteinander. Ohne laute Comedy gelang es dem Chilenen, sein Publikum zum lachen zu bringen und zu verzaubern.
Apropros Zaubern! Eine Sparte, die natürlich nicht fehlen durfte. Zu Gast beim Spielbudenfestival war dafür Alana. Die gebürtige Hamburgerin hat sich als eine der wenigen Frauen in der Zauberkunst einen Namen gemacht. Mit eigenen und einzigartigen Ideen rund um Mode und Magie, ihrer charmanten Art und souveränen Sprechweise war es ihr ein leichtes, jedes Publikum für sich zu gewinnen.
Ebenfalls magisch wurde es regelmäßig für die Gäste auf dem Sommerdeck und im Weingarten – denn immer wieder war dort Zauberkünstler Alexander Treville unterwegs. Seine besondere Erscheinung lässt bereits bei seinem Herantreten an eine Gruppe von Menschen erwarten: Er hat mehr als ein Gespräch im Sinn. Zwar einen flotten Spruch auf den Lippen, gehörten vor Allem Kartentricks zu seinem Repertoire, mit dem er als Closeup-Zauberer die BesucherInnen des Spielbudenfestivals verzauberte.
Tagsüber ein kurioses Baumwesen, in der Dämmerung ein weißer Reiter auf einem Einhorn: Der Walk-Act und Stelzenläufer Oliver Kessler sorgte mit seinen Kostümen wo immer lief für Aufsehen und strahlende Augen. Schwer zu übersehen war er nunmal auch mit seinen über zwei Meter großen Figuren, wenn er eine musikalische Fährte oder eine Spur von Seifenblasen hinter sich herzog. Am Sonntag durfte man ihn dann als Stelzenclown inklusive kleinem, drehenden Karussel am Kostüm bewundern.
Grund für diese besondere Kostüm war vor Allem die große Zirkusshow, moderiert von Konrad Stöckel, der mit seiner schrillen Art und Mischung auf Humor und Wissenschaft durch das akrobatische Programm führte. Zu Gast waren junge Artistinnen und Artisten der Hamburger Zirkusschule „TriBühne“, die mit einer beeindruckend langen, starken und bunt gemischten Darbietung aus Jonglage, Artistik mit und ohne Geräten für großes Staunen sorgte; sowie Mitglieder der Hamburger Kinder- und Jugendzirkus Firlefanz, die einzeln oder in kleinen Gruppen indivuell und außergewöhnliche erdachte Zirkusnummern präsentierten.
Schon Minuten vor Beginn seiner Shows war die laute Stimme von Jens Ohle an seinen Auftrittsorten zu hören. Der Inbegriff eines erfolgreichen Straßenkünstlers schaffte es so jedes Mal wieder, eine große Menschenmenge um sich zu versammeln. Mit kleinen akrobatischen Einlagen, einem Gag-Feuerwerk und einer beeindruckenden Energie sammelte er Sympathiepunkte, Lacher und Applaus wie kein anderer.
Wiederum nicht zu überhören aufgrund ihrer Instrumente war die Swing- und Dixieland-Gruppe Sunshine Brass. Sie hielten sich nicht nur an einem Spielort auf, sondern zelebrierten im Stil von originalgetreuem New Orleans-Street Jazz den Weg zu ihrer Bühne. Eine Mischung aus Trompete, Klarinette, Saxophon, Posaune, Banjo, Bass, Schlagzeug, Megaphon und fünf begeisterten Musikern begeisterte die ZuhörerInnen bei passend strahlendem Sonnenschein immer wieder für ihre Coverversionen und geschickt platzierten Instrumental-Nummern.
„Theaterfahrrad“ stand groß auf dem blauen Kubus, den Jörn Kölling regelmäßig über den Spielbudenplatz fuhr. Darin verbarg sich sein Bauchladen-Theater, in das er an verschiedenen Orten schlüpfte, um seine Zuschauenden mit kleinen Figuren und Bühnenbildern, Märchen, Komödien und theatralischen Klassikern in Kurzversion für die Kunst des kleinen Theaters zu begeistern.
Leider aufgrund einer Verletzung ausgefallen war das Entertainer-Duo Klirr Deluxe.
Zum Glück fand sich aber für die letzten beide Tage ein würdiger Ersatz! Als Mr. Postman kam auch Felix Ahlert zu seinen Auftritten geradelt – authentisch mit Postfahrrad und -boxen, allerdings in hellblauer Uniform. Denn in seiner Show gab es einiges zu sehen; ganz besonders aber ihn bei unterhaltsamer und spektakulärer Straßen-Akrobatik rund um seinen „Job“ als Mr. Postman.
Das mit Abstand größte Requisit hatte die französische Zirkusgruppe Cie La Meute im Gepäck. Das Rad des Todes war schon von weitem auf dem Spielbudenplatz zu sehen. In einer ruhigen, aber fesselnd anzusehenden Darbietung erlangten sie Kontrolle über das aus zwei großen, miteinander verbundenen Rädern bestehen Konstruktionen und trotzten dort scheinbar physikalischen Gesetzen – obwohl sie diese eigentlich nur geschickt für sich zu nutzen wussten.
Freitag- und Samstagabend bildeten den Abschluss des Spielbudenfestivals das Feuershow-Duo von S.W.A.P. Mit Jonglage, Tanzeinlagen und Pyrotechnik erleuchteten sie nach Einbruch der Dunkelheit den Platz im wahrsten Sinne unter der Fahre des Festivals in hellem Feuer- und Funkenschein. Während man dem Feuerkünstler eine regelrechte Coolheit unterstellen konnte, glänzte die Feuerkünstlerin mit einem strahlenden Lächeln und eleganten Bewegungen, die das Spektakel geradezu mühelos aussehen ließen.
Nicht zuletzt der Grund, aus dem ich Teil des Spielbudenfestivals sein durfte, waren die Zauberworkshops von und mit Till Frömmel. In einem eigens für und aufgestellten und magisch dekorierten Zelt durften wir in insgesamt 10 Workshops unseren kleinen und großen BesucherInnen kleine Zauberkunststücke vorführen und beibringen. Mit großer Begeisterung nahmen Menschen in jedem Alter aufmerksam an den Übungen Teil, stellten eigene Ideen für mögliche Erklärungen auf und bastelten sogar eigene Requisiten, die sie anschließend natürlich mitnehmen durften. Wir hatten indes großen Spaß daran, Menschen mit Zauberei zu begeistern und zu sehen, dass nicht nur ein gut vorgeführtes Kunststück, sondern auch ein gut erklärter Trick zu strahlenden Augen und breitem Lächeln führen können.
Das persönliche Fazit meinerseits fällt gemischt aus. Wie sicherlich alle Veranstaltungen – besonders, wenn man einen internen Einblick bekommen darf – lief nicht alles einwandfrei. Und auch verschiedene Künstlerinnen und Künstler und sogar verschiedene Kunstsparten sind Geschmackssache. Besonders für jemanden, dessen Hauptaugenmerk auf Bühnenkunst liegt, hat das Prinzip der Straßenkunst noch immer etwas Fremdes, aber nicht weniger Faszinierendes. Was sich zweifelsfrei sagen lässt: Die Atmosphäre des Spielbudenfestivals, in krassem Kontrast zur Reeperbahn, mit den vielen verschiedenen Spielorten, dem parallelen Programm, der Geräuschkulisse, den Walk-Acts, Verweilorten und Foodtrucks, dem sympathischen Team, dem bunt gemischten Zuschauerstrom und der liebevoll gestalteten Fläche ist ein ganz besonderes Erlebnis, das ich jedem, unabhängig von persönlichen Präferenzen, sehr dringend ans Herz lege.
Deshalb behaltet die Webseite oder Instagram-Seite im Auge: Ganz sicher wird trotz des durch den plötzlichen Gewittereinbruch recht unverdienten Endes auch im nächsten Jahr ein Spielbudenfestival geben – vermutlich genauso in jeder Hinsicht bunt wie in diesem Jahr.